Mein Jahrhundertsommer

Zugegeben, dieses Jahr tut sich der Sommer ziemlich schwer, obwohl dies aus unterschiedlicher Perspektive anders aussehen dürfte. Nicht zu heiss, nicht zu kalt, nicht zu trocken, nicht zu nass, es hat alles dabei. Anno 1969 war dies vollkommen anders, wie ich gleich ausführen werde, wobei das Wetter für mich eine Nebenrolle spielte. Im Frühjahr hielt ich mein Maturazeugnis in Händen und wenige Wochen später auch noch den Führerausweis nach nur 10 Lektionen beim Fahrlehrer. Ja, ich weiss, heute eine Unmöglichkeit, aber mit diesem Schein lockte die grosse weite Welt. Auf einer kurzen Ferienreise mit den Eltern nach Oslo per Schiff lernte ich den Cuba libre kennen – und fürchten. Dann ging es für zwei Monate ins Welschland nach La Chaux-de-Fonds. Dort arbeitete ich als Volontär im Spital, weil ich anschliessend Medizin studieren wollte. Mit dem Studium hatte jene Erfahrung aber keine besondere Bewandtnis, denn ich war bloss eine Hilfskraft für die Krankenschwestern. Anschliessend fuhren wir (ein Quartett aus vier Kollegen) mit einem Opel Olympia (2 Türen) inkl. Campingausrüstung nach Österreich, Ungarn, Jugoslawien (gab’s damals noch) und Italien. Eine unvergessliche Tour mit ebenso unvergesslichen Abenteuern. Nach unserer Rückkehr landeten am 21. Juli 1969 die Amerikaner auf dem Mond – am gleichen Tag warteten jedoch 17 Wochen Rekrutenschule auf mich, wo man uns zu Mannen machen wollte. Naja, die Details kann ich euch ersparen, ausser der Tatsache, dass es brutal heiss war die ganze Zeit. Yverdon liegt direkt am Neuenburgersee – aber nicht ein einziges Mal liess man uns im See baden! Dafür schwitzten wir die Hemden nass auf dem Kasernenplatz oder im Marais hinten zwischen den Feldern. Die Verlegung im Jura war immerhin eine schöne Zeit und seither kenne ich jene Region auch relativ gut. In jenem Sommer entdeckte ich auch die Gauloises bleues sowie den Rioja – abgesehen von anderen Schnapsideen.

Diese intensive Zeit hat mich/uns geprägt und mit vielen neuen Eindrücken ins Erwachsenenleben entlassen. Einige davon waren nachhaltiger, andere zum Vergessen. Das Medizinstudium habe ich nach einem Jahr abgebrochen, denn es zog mich zu den Sprachen zurück. Auch für Geschichte interessierte ich mich fortan mehr als damals in der Schule. Aus den genannten Gründen und einigen mehr war der “Summer of 69” meine persönliche Zeitenwende. Und ist es nebst weiteren Zeitenwenden bis auf den heutigen Tag geblieben.

Peter Joos

27. Juni 2024

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