Landeskirchen – quo vadis?

Wenn man die obige Grafik studiert, kann es einem schon etwas mulmig werden, denn ab heute bilden die Menschen ohne offizielle Religionszugehörigkeit in der Schweiz die Mehrheit, und zwar mit über einem Drittel. Während der Anteil an katholischen und reformierten Bürgerinnen und Bürger stetig abnimmt, Angehörige anderer Religionsgemeinschaften in etwa gleich bleiben, nimmt seit Jahrzehnten die Zahl areligiöser Menschen markant zu. Aber handelt es sich bei diesen Menschen tatsächlich um Personen, die in ihrem Alltag, ihrem Leben von keiner Religion beeinflusst leben und handeln? Sind die zahlreichen Austritte in den vergangenen 50 Jahren tatsächlich ein Zeichen dafür, dass unsere Gesellschaft keinen Bezug mehr zur Religion, d.h. zum Christentum hat, trotz Religionsunterricht in der Schule, Firmung und Konfirmation? Trotz einem viel breiteren Angebot der Landeskirchen nebst den sonntäglichen Gottesdiensten? Trotz Kirchenapéro, Kirchenkaffee, Weiterbildungsangeboten, Kinder-, Jugend- und Erwachsenengruppen sowie speziellen Angeboten für die Seniorinnen und Senioren? Manchmal habe ich das Gefühl, unsere Kirchen können das übliche Freizeitangebot von Vereinen nicht genug konkurrenzieren, obgleich die Veranstaltungen gelegentlich von kaum einer Handvoll Leuten besucht werden. Dagegen scheinen offene Kirchen regen Zulauf zu erhalten, da ihre Unverbindlichkeit der heutigen Gesellschaft entgegenkommt: Gratis Events mit gratis Verpflegung sind in Mode, woher auch immer das Geld dafür kommt. Kirche als Konsumgut. Man profitiert und tut gleichzeitig etwas für Geist und Gemüt – danach geht’s weiter ins Kino oder in die Disco. Das Angebot der Landeskirchen verkommt je länger je mehr zu einem Jekami – jeder kann mitmachen, oder auch nicht. Beliebigkeit und Unverbindlichkeit sind die Haupttreiber für diese Anlässe – alles, bloss keine Verpflichtungen. Und die Kirchensteuer kann man sich auch noch sparen.

Ich meine, es ist eine ungute Entwicklung, die hier seit Jahren stattfindet. Die Missbrauchsfälle haben die Austritte noch befeuert, aber die Ursachen liegen tiefer. Unsere säkulare Gesellschaft driftet religiös gesehen dem Nullpunkt entgegen und sie wird sich eines Tages fragen müssen, woher wir unsere Wertvorstellungen überhaupt nehmen wollen. Die UNO-Menschenrechte als die neue Bibel vermögen es nicht, der Welt den langersehnten Frieden zu bringen. Das vermögen offenbar auch die Landeskirchen nicht, aber wenn sie sich auf ihr Kernthema besinnen und eine Abkehr von der Beliebigkeit vollführen würden, könnte dies Wirkung zeitigen. Wer eine niedrige Schwelle zur Kirche braucht, ist auch bald wieder draussen. Es braucht wieder mehr Verbindlichkeit, angefangen beim Religionsunterricht für Kinder, bei der Konfirmation für Jugendliche, bei der Einbindung von Familien und den Senioren. Es braucht ein Engagement von allen, anstelle von konsumieren. Geben und nehmen, anstelle von profitieren. Wahre Kirche statt Konsum! Und das darf auch etwas kosten, denn was nichts kostet, ist auch nichts (oder wenig) wert. Ich glaube daran, dass auch in der Schweiz die Religion in Zukunft wieder mehr bedeuten wird, und zwar in nicht allzu ferner Zukunft. Andere Kontinente und Länder machen es uns vor – und einige kämpfen momentan sogar um ihr Überleben!

Mit einem herzlichen Shalom!

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