Ohne Fleiss kein Preis!

Wieviel und wie intensiv wir damals in der Schule und an der Uni gearbeitet haben, lässt sich heute kaum noch in Erfahrung bringen. Klar ist jedoch, dass ich während 40 Jahren Tätigkeit als Lehrperson in der Regel jeden Abend und an jedem Wochenende im Einsatz war. Nicht in der Schulstube, aber zu Hause beim Vorbereiten, Korrigieren, Administrieren usw. Die längeren Ferienpausen mussten hart verdient werden. Ein 100%-Pensum umfasste die Arbeiten als Klassen- und Fachlehrperson, Teamarbeit, Schüler- und Elternarbeit, Exkursionen, Schulverlegungen und vieles mehr. Es gab lange Tage von morgens 7.30 Uhr bis abends um 21 Uhr. Nicht täglich, aber regelmässig. Leistete ich mir eine Pause von 16 bis 20 Uhr, dann hiess es auch für mich als Lehrer nachsitzen und Hausaufgaben erledigen bis 23 Uhr. Die flexible Arbeitszeit ist jedoch etwas, was ich stets geschätzt habe. Es war wie das Intervalltraining beim Sport …
Kürzlich erfuhr ich von einer Bekannten, dass es vorkommen soll, dass angehende Schulabgängerinnen und Schulabgänger im Alter von 15 Jahren beim ihrem Bewerbungsgespräch für die Lehrstelle geäussert haben, sie möchten nur ein 80%-Pensum haben. Mit anderen Worten: Ein langes Wochenende von Samstag bis Montag wäre schon schön. Ich konnte das kaum glauben und sprach darauf meine Coiffeuse an, ob sie auch solche Fälle hätten. Ja, meinte sie, kürzlich habe eine Anwärterin ein 80%-Pensum verlangt. Die Nachfrage, ob sie Sport treibe oder Musik mache, verneinte diese. Warum sie denn einen Tag pro Woche weniger arbeiten wolle? Da sagte sie, es sei wegen der Work-Life-Balance!
Sind wir tatsächlich soweit, dass sich unsere Jugendlichen der Generation Z einer normalen Ausbildung verweigern, wie sie eine Lehre anbietet? Ist der Individualismus bereits derart gewuchert, dass wir die Ausbildungsgänge nach dem Gusto der Minderjährigen personifizieren müssen? Sind das die Folgen des Wunschkonzerts an den Schulen, welche nun auch auf die weiterführenden Bildungsinstitutionen abfärben?
Eigentlich habe ich nichts gegen flexible Arbeitszeiten, sofern sie der Arbeitssituation angemessen sind. Schichtarbeit kann nicht mit einem 9to5-Job verglichen werden. Nachtarbeit muss anders bzw. besser entschädigt und kompensiert werden. Menschen mit familiären Verpflichtungen sollen ihr Pensum reduzieren können. Teilzeitarbeit hat sich in praktisch allen Bereichen erfolgreich durchgesetzt. Damit verzichtet man aber auch auf einen entsprechenden Lohnanteil. Wenn nun aber die offiziellen Ausbildungsgänge individuell angepasst werden müssen, wird die Sache recht kompliziert. Möchte z.B. ein Lernender nur vier Tage arbeiten, müsste sich seine Ausbildungszeit um ein Jahr verlängern. Wie das mit den diversen Fächern und Kursen abgestimmt werden kann, ist mir ein Rätsel.
Unser Bildungssystem steht vor enormen Herausforderungen und ist in dauerndem Umbruch. Anliegen wie im obigen Fall belasten es unnötig und tragen kaum zu dessen Verbesserung bei. Insofern ist es gut und hilfsreich, wenn wir uns zwischendurch wieder einmal mit anderen Ländern vergleichen, in denen die Leistungsbereitschaft noch intakt ist.

Bildquelle: ZDF

Peter Joos

29. April 2024

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